Reisereportage aus Michoacán
Die urtümlichsten Feierlichkeiten zum Tag der Toten finden in der Region um den Pátzcuaro-See in Michoacán statt. Um den Hintergrund der für uns ungewohnt fröhlichen Fiesta zu erfahren, durften wir den aus der Region Pátzcuaro stammenden Carlos Quesada für unsere Reportage zum Dia de Muertos begleiten.
Die Nacht in der die Toten zurückkehren
«Unsere toten Familienmitglieder möchten uns nicht trauern sehen, sondern möchten dass wir das Leben wie eine riesige Fiesta angehen», bringt es Carlos Quesada auf den Punkt. Er kommt aus dem Bundesstaat Michoacán, aus der Region von Pátzcuaro, welche bekannt ist für ihre eindrücklichen Festlichkeiten am Dia de Muertos – dem Tag der Toten.
Was für die Besucher vielleicht befremdlich erscheinen mag, dass der Tod in Mexiko so geehrt wird, gehört zu einer uralten Tradition. «Der Tod wird respektiert, aber nicht gefürchtet. Schon unsere Vorfahren glaubten es ist bloss der Übergang zu einer anderen Daseinsform», erläutert Carlos den mexikanischen Totenkult. Vom 1. auf den 2. November wir der Dia de Muertos gefeiert, es ist die Nacht, in der die Toten zurückkehren, um die Hinterbliebenen zu besuchen.
Kolonialstadt Pátzcuaro
Wir spazieren gemütlich durch die Gassen aus Kopfsteinpflaster der wunderschönen Kolonialstadt Pátzcuaro. Die Häuser mit den weinroten und weiss gestrichenen Fassaden und den roten Dachziegeln glitzern im schräg einfallenden Abendlicht. Unser langjähriger Freund zitiert eine Legende: «Gemäss unserer Tradition in Mexiko sterben Menschen drei Tode. Der erste Tod ist, wenn unser Körper aufhört zu funktionieren und unser Herz aufhört zu schlagen. Der zweite Tod kommt, wenn der Körper in den Boden zurück zu Mutter Erde geführt wird. Der dritte Tod, der definitive Tod ist, wenn sich niemand mehr an uns erinnert.»
Der Tod zum Essen und Lachen
Carlos führt uns zu einem unscheinbaren Hauseingang und ruft zweimal lautstark nach Doña Clotilda. Die Tür geht auf und die freundlich lächelnde Hausherrin streckt uns ohne gefragt zu werden ein rundliches Brot entgegen. Ein paar Münzen wechseln den Besitzer. «Pan de Muertos», klärt uns Carlos auf, das Brot der Toten. Und dazu ein weisser Totenschädel aus Zuckerguss. Das Brot schmeckte ausgezeichnet, der Totenschädel war uns nicht zu makaber, jedoch schlicht zu süss.
Wir entdecken an Strassenständen handgearbeitete Skelette, die Calaveras, vielmehr freundlich und lustig, statt erschreckend und spukend. Wir brachten in Erfahrung, dass diese die verstorbenen Bekannten repräsentieren, mit ihren Berufen und Hobbys. Die Skelett-Figuren werden am Altar angemacht, sie sollen den Trauernden die guten Erinnerungen wach rufen und sie zu einem Lächeln animieren.
Altar zu Ehren der Toten
Zusammen mit weiteren Familienangehörigen hat Carlos auf dem Friedhof seiner Heimatgemeinde am Ufer des Pátzcuaro-Sees, beim Grab seines verstorbenen Vater Juan, einen kleinen Altar errichtet. Zuoberst an ein hölzernes Kreuz angelehnt, hat er eine etwas vergilbte schwarz-weiss Aufnahme eines älteren Mannes mit einem eher finsteren Gesichtsausdruck aufgestellt. Daneben steht eine Schüssel mit drei Tamales, eine traditionelle mexikanische Speise aus Mais-Teig, gefüllt mit verschiedenen Zutaten. Dazu ein Glas mit Pulque, einem milchig-trüben Getränk aus fermentiertem Agavesaft. «Wir möchten unseren Vater bei seinem Besuch mit seiner Lieblingsspeise und seinem Lieblingsgetränk beglücken, es soll ihm an nichts fehlen», erzählt uns Carlos.
Das Stückchen Erde des Grabes, einen Grabstein konnte sich die Familie nicht leisten, wurde mit gelb-orangen Cempasúchil Blumen verziert und rundherum flackern weisse Kerzen als einzige Lichtquelle. Carlos wird mit seiner Mutter, seinem Bruder und seinem 12-jährigen Sohn die Nacht am Grab verbringen und dem verstorbenen Familienoberhaupt gedenken und für ihn beten.
Wir fragen ihn, ob es denn nicht ein trauriger Moment sei. «Aber nein doch», erwidert er bestimmt, «ich fühle mich geehrt und glücklich, dass wir endlich wieder alle beisammen sind.»
Feiern statt trauern
«Wir werden lustige Anekdoten von früher erzählen und klassische Volkslieder singen. Und sobald die Nacht vergangen ist und die Geister in ihre Welt zurückgekehrt sind, wissen wir, dass wir über den Tod triumphiert haben. Der einzige Weg dem Tod zu trotzen, ist das Leben mutig anzugehen.»
«Und schau mal“, sagt Carlos verschmitzt und deutet auf einen kleinen Jutesack, wo der Hals einer Flasche Tequila herausragt und fügt an: „Wir werden bestimmt unseren Spass haben, genau wie es mein Vater gewollt hätte!»
Autorin Reportage
Die Faszination des Tag der Toten lässt die Reisebericht-Autorin Nadia Gómez nie los. Sie ist ursprünglich aus Morelia, der Hauptstadt des Bundesstaates Michoacán, besucht aber jeden November zusammen mit ihrer Familie die Festlichkeiten in Pátzcuaro und auf der Insel Janitzio.