Zu Fuss von Guadalajara an den Pazifik wandern
Getrieben von der unwiderstehlichen Faszination für die Sierra Madre, wollte ich unbedingt diese riesige Bergkette zu Fuss durchqueren. Meine Idee war mitten aus dem Asphaltdschungel der Millionenmetropole Guadalajara hinaus in die absolute Einsamkeit der Gebirgswelt zu wandern, mit dem losen Ziel den Pazifischen Ozean womöglich bei Manzanillo zu erreichen. Dazwischen lagen 11 Tage zu Fuss durch das wilde und abgelegene Hochland der Sierra Tapalpa und dem Biosphärenreservat Sierra de Manantlán. Und wer weiss, vielleicht gibt es den geheimnisvollen Schatz der Sierra Madre ja doch!
Von Guadalajara durch den Bosque La Primavera
Am Stadtrand von Guadalajara liess ich langsam aber sicher die letzten slumartigen Wohnquartiere hinter mir. Eine von Abfall verunreinigte Sandpiste zog sich in gerader Linie durch eine triste Ansammlung von heruntergekommenen Betonbauten. Es schien wie ausgestorben. Nach Reparatur lechzende Pick-up Trucks und das typische Hintergrundgeräusch von zurrenden Fernsehapparaten mit den ach so beliebten Telenovelas (Seifenoper) bewiesen jedoch, dass hier Leben herrschte. Nur hie und da streckte jemand neugierig den Kopf aus dem Fenster oder eine Gestalt huschte zurückhaltend grüssend vorbei. Abgemagerte Hunde waren zu faul sich um mich zu scheren, nicht mal ein müdes Bellen. Schön war es hier nicht, noch nicht. Zu gross sind die sozialen Herausforderungen der verarmten Vorstädte Mexikos.
Aber ich war auf dem richtigen Weg, ein knapp leserliches Schild versprach mir im Bosque La Primavera zu sein, einem Naherholungsgebiet vor den Toren von Guadalajara. An den Wochenenden versammeln sich hier die mexikanischen Familien und verwandeln den Wald in eine riesige Grillstelle für ihre persönliche Outdoor-Fiesta. Unter der Woche hatte ich den Wald für mich, zum Grillen war es jedoch noch zu früh am Morgen. Eine Naturstrasse zwängte sich zwischen den Pinienbäumen durch, abwechslungsweise mal über einen Hügel, mal um einen Hügel. Ganz in der Nähe entspringen heisse Quellen, doch in den trockenen Wintermonaten versickert das Wasser und nur das Bachbett und kleine Schluchten zeugen davon. Genau bei so einer Schlucht verlor sich das erste Mal der Weg.
So was wie markierte Wanderwege gibt es natürlich nicht, keine einzige Signalisationtafel mit dem Hinweis „Zum pazifischen Strand“. Ich konnte zwar die best möglichen Landkarten bei INEGI (www.inegi.org.mx), dem staatlichen Amt für Geografie besorgen, jedoch waren diese mit einem viel zu grossen Massstab von 1:250’000 eigentlich völlig ungenügend. Zudem sind die Karten lückenhaft und nie auf dem neuesten Stand. Da half oft nur der Trekking-Instinkt weiter.
Durch den Wald irrend, die Augen auf den Kompass fixiert, gelangte ich so durch viel Zufall auf einen Trampelpfad, der mich zu einer Tierfarm führte und hier wiesen mich die netten Bewohner wieder auf die richtige Fährte. Rinderweiden und Kornfelder verdrängten nun den Wald und just mit dem Eindunkeln erreichte ich das spontan auserkorene Etappenziel San Isidro Mazatepec.
Pueblos in der Sierra Madre
Ein riesiger, konischer Hügel dominierte die Landschaft bei Mazatepec für längere Zeit. Der kleine See Lago Hurtado war da schon eine willkommene Abwechslung. Wasservögel gingen hier ihrem Wasservogelleben nach und einige Esel zeigten kräftig lärmend ihre Zähne.
Ich kam an einer Reihe verlassener Dörfer vorbei. Die Hütten waren eingefallen und zersplittert und kehrten langsam zur Erde zurück. Ein anderes Dorf schien nur noch einen Einwohner zu haben, einen alten Mann, der mit einem Maultier pflügte und den kaputtesten Strohhut trug, den ich je gesehen hatte.
Ich wanderte an zwei weiteren Seen vorbei, bevor ich das Dorf Bellavista erreichte. Normalerweise nimmt die Kirche und eine hübsche Plaza den Mittelpunkt eines mexikanischen Dorfes ein, hier jedoch stand ein hässliches Fabrikgebäude. Immerhin verzierten hübsch blühende Sträucher die Hauptstrasse durch das Dorf. Den letzten Teil der heutigen Etappe, bis in die Ortschaft Villa Corona, musste ich mangels Alternativen noch an den Strassenrand gedrängt wandern.
Am See von Atotonilco
Obwohl ich den ganzen Tag brauchte um den See von Atotonilco zu umgehen, sah ich herzlich wenig davon. Das Strässchen führte in einem grosszügigen Bogen darum herum. Mal verdeckten Hügel die Sicht, mal Felder oder Wälder, aber nie ging es richtig dem Ufer entlang.
Ich kam zu einem hübschen kleinen Farmhaus. Eine Frau stand im Hof und hatte ein höfliches, beinahe spöttisches Lächeln im Gesicht. Sie mahlte Mais für Tamales, ein typisches ländliches Gericht. Pferde grasten, Hühner scharrten im Dreck und räudige Hunde erhoben sich aus dem Schatten und guckten neugierig. Zwei Männer in Stiefeln und Strohhüten lehnten an einem alten Pick-up und starrten mich an. Natürlich konnten sie überhaupt nicht nachvollziehen, wie ich mit einem schweren Rucksack beladen in dieser sengenden Hitze zu Fuss unterwegs war und mich bis hierher an die Ausläufer der Sierra Madre verirrt hatte. Ich wechselte dann meist sofort das Thema und sprach lieber über lokale Gegebenheiten und liess mir über das Leben hier erzählen. Spanischkenntnisse helfen ungemein das Eis zu brechen und aus einem zuerst misstrauischen Abtasten wird dann oft ein offenes Gespräch wie unter Freunden.
Als ich endlich im Dorf Atotonilco eintraf, war ich ziemlich erschöpft und aus einer angeblich kleinen Verschnaufpause wurde ein längeres Nickerchen auf einer Parkbank. Nur eine plötzlich niederprasselnde Regenschauer vermochte mich aufzuwecken. Um wieder zu Kräften zu kommen, brauchte ich dringend etwas zu essen. Ich fragte mich zur scheinbar einzigen Taqueria durch und bat den Besitzer zu dieser Unzeit am späten Nachmittag seinen Grill anzuheizen, um mir einige Tacos zuzubereiten. Das half, ich war nun bereit für einen letzten, zweistündigen Endspurt bis zum Eindunkeln und einem passenden Nachtlager.
In der Bergwelt von Atemajac
Jetzt war definitiv fertig lustig mit dem weit gezogenen Flachland von Jalisco. Vor mir erhoben sich die ersten Ausläufer der Sierra Madre Occidental Gebirgskette. Das Trekking sollte mich heute rund 1000 Meter hoch in die Sierra Tapalpa bringen.
Zum Aufwärmen stieg die Strasse zuerst nur leicht an, transformierte sich aber nach und nach in eine sehr kurvige Route den Berg hoch. Die Bewohner der Sierra Madre sind äusserst hilfsbereit, es passierte mich wahrscheinlich kein einziges Fahrzeug, ohne mir nicht eine Mitfahrgelegenheit geboten zu haben. Mit einem gequält lächelnden „no gracias“ lehnte ich jeweils ab und im nächsten Augenblick zeugte nur noch eine Staubwolke von der gut gemeinten Geste.
Die Flora wechselte allmählich von meist dornigen Büschen und Kakteen zu Pinienwäldern. Beim Aufstieg eröffneten sich mir spektakuläre Ausblicke auf die umliegenden Berge und runter ins Tal auf weiss schimmernde, ausgetrocknete Salzseen.
„Diese Berge zu betrachten inspiriert die Seele, aber durch sie zu reisen ist anstrengend für die Muskeln und für die Geduld“, sagte schon der legendäre Naturforscher Carl Lumholtz, der während mehreren Jahren die nördliche Sierra Madre erkundete.
Nach etwa acht Stunden erreichte ich das auf etwa 2250 m.ü.M. gelegene Bergdorf Atemajac de Brizuela, wo ich mich etwas ausserhalb einen Lagerplatz zu recht machte. Es war eine kalte und windige Nacht. Ich legte mich in meinen Schlafsack, horchte auf den Wind in den Bäumen und bestaunte den klaren Sternenhimmel. Als ich gerade am Einschlafen war, hörte ich ein Rascheln im Unterholz. Ich griff rasch nach meiner Taschenlampe und zielte den Lichtstrahl in Richtung des Geräusches. Ein mittelgrosses Tier huschte sofort unter skandalösem Getue davon. Ich konnte zwar nicht mit absoluter Sicherheit sagen was es war, jedoch denke ich der nächtliche Besucher war ein Wildschwein, welche in dieser Gegend durchaus vorkommen. Die Müdigkeit war schlussendlich grösser als die Sorge erneut überfallen zu werden.
Wanderung ins Bergdorf Tapalpa
Ich wachte schon früh auf, der Morgen war eisig kalt und der Frost hatte eine feine, weisse Schicht über die Erde gelegt. Ohne Zelt und Windschutz, nur auf einer Liegematte im Schlafsack war es im Dezember auf dieser Höhe einfach zu kalt. In den Wintermonaten sind die Temperaturschwankungen sehr extrem, nach einer sibirischen Nacht kann das Thermometer am Nachmittag bis auf gut 30° steigen.
Somit war ich nach nur wenigen Stunden Schlaf wieder auf den Beinen und konnte mit der Stirnlampe aufgesetzt unter einem prachtvollen Sternenhimmel durch den dunklen Wald wandern. Gegen 7 Uhr brach der Tag langsam an und das Morgenrot drückte zwischen den Bäumen durch. Etwa jede Stunde fütterte ich mich mit Bananen, um mich fit zu halten.
Der Wald hatte nun einer hügeligen Landschaft mit herrlich duftenden Wiesen und klaren Bächen Platz gemacht. Die eingezäunten Flächen deuteten auf eine Farm oder sogar ein Dorf hin. Auf einem schmalen Pfad näherte ich mich Juanacatlán, einem friedlichen Dörfchen, wo Blumengärten in Kaffeedosen blühten und unter rostigen alten Pick-ups Hunde schliefen und Energie tankten für das wüste Gebell, das sie in der Nacht veranstalten würden.
Eingedeckt mit einem Bund Bananen und zwei Flaschen Wasser, setzte ich die Tour weiter gegen Süden nach Tapalpa fort. Tapalpa ist ein äusserst reizvolles Bergdorf, mit seinen typischen Holzarkaden und für Mexiko seltenen roten Dachziegeln. Der Ort ist beliebt für Wochenendausflüge und Outdoor-Aktivitäten wie Wanderungen und Trekking, Mountain Biking und reiten. Zur Abwechslung gönnte ich mir eine kleine Posada als Unterkunft, mit einer wohltuenden heissen Dusche.
Als ob ich noch nicht genug zu Fuss unterwegs gewesen wäre heute, spazierte ich abends um die hübsche Plaza im Zentrum von Tapalpa. In den Bäumen kreischten die Vögel, Teenager lachten und hielten Händchen, eine übergewichtige Frau Ende vierzig warf mir glühende Blicke zu und stolzierte mit wiegenden Hüften vorbei. Ich kaufte mir drei Tacos mit carne asada, in kleine Würfel geschnittenes, gegrilltes Steak in einer Tortilla, drückte eine Zitrone über dem Fleisch aus und häufte eingelegte rote Zwiebelstreifen, eine cremige Avocadosauce und eine Salsa aus gerösteten Chilis und Tomaten darauf. Dazu eine eiskalte Cerveza Sol. Mehr Mexiko geht nicht.
Zu Fuss durch die Sierra Tapalpa
Die Route würde nun während zwei Tagen durch das abgelegene Niemandsland der Sierra Tapalpa führen. Die weissen Punkte auf der Karte konnten alles sein, eine Wegkreuzung, eine Lichtung, eine verlassene Ranch oder vielleicht doch sogar ein kleines Dorf. Mit den eingezeichneten blauen Linien war die Ungewissheit genau gleich gross. In der jetzigen Trockenzeit war es unwahrscheinlich, dass die Flüsse Wasser führten. Eine seriöse, konservative Planung des Proviants war essenziell. So schleppte ich auch diesmal zu viel Flüssigkeit mit, weil zweimal die Möglichkeit bestanden hätte, Wasser zu purifizieren.
Anfänglich gelangte ich auf einer asphaltierten Strasse zu einem kleinen Stausee hoch. Von hier kurvte dann eine staubige Naturstrasse durch einen Pinien- und Zedernwald immer tiefer in die Sierra hinein. Auf der linken Seite öffnete sich eine mächtige Schlucht und ermöglichte eine eindrückliche Fernsicht. Riesige Waldflächen überzogen die Hügelzüge und weit im Hintergrund war die konische Form des immer noch aktiven Volcán de Fuego und des 4260 m hohen Vulkans Nevado de Colima erkennbar.
Bei einem kleinen Wasserfall erfrischte ich die Füsse im kühlen Nass und genehmigte mir im Schatten eines Baumes eine grosszügige Pause. Die Geier kreisten vergeblich um mich, noch hatte ich genügend Proviant dabei.
Ich kam auch nachmittags mit gutem Schritt wacker voran und hatte eine deutliche grössere Strecke zurückgelegt als ursprünglich angenommen. Kurz vor dem Eindunkeln schaute ich mich für einen geeigneten Lagerplatz um. Ich streifte noch einige Zeit durchs dornige Dickicht, bis ich endlich ein einigermassen flaches Fleckchen für das Nachtlager mitten in der Wildnis fand.
Miguel Angel und seine Hanf-Plantage
Ein wunderbares Morgenrot begrüsste mich heute Morgen und ich freute mich richtig wieder aufzubrechen. Ich packte meine sieben Sachen zusammen und weiter ging das Trekking-Abenteuer durch die Sierra Madre.
Der Weg kurvte gemächlich in ein üppig grünes Tal runter, dominiert von riesigen Agave-Feldern. Nur ausgesuchte Regionen im Osten von Mexiko eignen sich für den Anbau der blauen Weber-Agave, dem begehrten Rohstoff für die Herstellung des Nationalgetränks Tequila.
Statt Tequila gab es für mich jedoch vorläufig nur Wasser zu trinken. Immerhin wurde dadurch der Rucksack deutlich leichter und ich kam nun sehr leichtfüssig voran. Ich hatte die Berge der Sierra Tapalpa hinter mir gelassen und die Strecke führte mich durch eine weite Ebene. Etwa in der Mitte des Tafellandes lag eine flache, schüsselartige Senke mit einem alten, hölzernen Pferch und einer Tränke für Vieh.
Hier traf ich auf Miguel Angel, einem schmächtigen, energischen Mann Mitte fünfzig mit wettergegerbtem Gesicht. Er trug Arbeitskleidung, welche wahrscheinlich in letzter Zeit noch weniger gewaschen wurde als meine, mit einer Kappe, auf der das Wappen des Fussball-Clubs der Chivas de Guadalajara (www.chivasdecorazon.com.mx) abgebildet war. Er schien richtig erfreut mit jemandem schwatzen zu können. Wir setzten uns in den spärlichen Schatten eines Busches und er erzählte mir in seiner offenen, direkten Art so einiges über das Leben in der Sierra Madre. Da ich ihm als Wanderer scheinbar harmlos vorkam, vertraute er mir auch an, er verdiene ein zusätzliches Einkommen durch den Anbau von Hanf-Pflanzen. Er deutete mit dem Kopf auf das scheinbar als Tarnung angelegte Maisfeld, welches ich vor kurzem durchwandert hatte und lächelte verschmitzt, nicht ohne noch wie entschuldigend anzufügen, es reiche ihm sonst nicht für seine Familie mit vier Kindern.
Ich wusste, dass sich in diesen abgelegenen Regionen der Sierra Madre Hanf Plantagen unterhalten wurden, oft eben gut versteckt mitten in unscheinbaren Kornfeldern. Dies macht das Hochland hier auch nicht ganz ungefährlich, wo Drogen angebaut werden sind bewaffnete Narcos, samt korrupten Polizisten und Militärs nicht weit.
Wie es das Schicksal wollte, blieb mir heute Abend jedoch gar keine andere Wahl, als abenteuerlich in einem Maisfeld versteckt zu campieren, wohlgemerkt mit einem etwas mulmigen Gefühl. Nur gut ist so ein Trekking dermassen ermüdend, dass man gar keine Zeit findet sich übermässig Gedanken zu machen.
Wandern im Biosphärenreservat Sierra de Manantlán
Weitere Agave-Plantagen säumten die Strecke, bis sich der Weg durch eine Schlucht zwängte und runter in die kleine Ortschaft El Paso Real führte. Nach einem mickrigen Abendessen aus altem Brot und einer zerdrückten Banane, lechzte ich nach einem ordentlichen mexikanischen Frühstück.
Ein offizielles Restaurant gab es in El Paso Real nicht, doch die freundlichen Bewohner lotsten mich durch die verwinkelten Strässchen zu Doña Miranda, welche mich in ihrem bescheidenen Haus bekochen würde. Eine ältere Frau winkte mich in das Wohnzimmer, an einen mit einer Plastikfolie überdeckten Tisch. Da sie annahm ich verstehe ihre Sprache nicht, grüsste sie nicht mal und hielt mir ein Ei vor die Nase. Nickend segnete ich den Menüvorschlag ab. In der anderen Hand schwenkte sie eine Tortilla und ich nickte wiederum zustimmend. Erst jetzt erhob sie die Stimme und beorderte wahrscheinlich ihren Neffen die Zutaten in einem Laden zu besorgen. Das Frühstück schmeckte ausgezeichnet, der wässrige Kaffee als Bonus war trotz allem eine Wohltat.
Rund um die Plaza gab es bestimmt vier verschiedene Tienditas, kleine Tante-Emma-Laden, welche aber alle ungefähr das gleiche minimale Sortiment führten. Unter den kritischen Blicken der neugierigen Dorfbewohner kaufte ich: 4 Liter Wasser, 4 Bananen, 2 Äpfel, 1 Orange und einige Schokoladenkekse. Niemand wollte mir so recht glauben, dass ich die Absicht hatte die Sierra de Manantlán zu Fuss zu überqueren. Aber bei all den vielen Glückwünschen konnte es ja nur gut gehen.
Gleich hinter dem Dorf begann der Weg kräftig zu steigen, hoch in die Sierra de Manantlán. Eine drückende Hitze machte das Vorwärtskommen zu einer echten Herausforderung und folglich trank ich auch viel mehr als vorgesehen.
Am frühen Nachmittag erreichte ich die Sattelhöhe, von den Einheimischen El Puerto, der Hafen genannt. Sofort umzingelten mich mächtige Stiere mit spitzigen Hörnern und Kühe mit Kälbern, als ob sie mir andeuten wollten, wessen Territorium das hier sei. Mit einem Stock bewaffnet wollte ich mir vorsichtig einen Weg zwischendurch bahnen. Aber wenn auch immer ich mich in Bewegung setzte, folgte mir die ganze Herde. Blöde Situation. So ging das eine ganze Weile und ich wartete nur darauf aufgespiesst oder zertrampelt zu werden.
Plötzlich näherten sich uns einige reitende Vaqueros, mexikanische Cowboys. Ich dankte Ihnen für die Befreiungsaktion und versuchte ein wenig ins Gespräch zu kommen. Doch sie schauten mich nur vorwurfsvoll bis verächtlich an und trieben die Herde wieder in die Richtung aus der ich gekommen war.
Nachdem ich die Grenze zwischen den Staaten Jalisco und Colima passiert hatte, führte der Weg runter in ein weitläufiges Tal. Ich hatte gar nicht bemerkt wie lange ich schon unterwegs war, die hereinbrechende Dämmerung zwang mich sofort ein passendes Nachtlager ausfindig zu machen.
Durch einen Stacheldrahtzaun verschaffte ich mir Zutritt zu einer scheinbar verlassenen Wiese und fand am Rande eines Maisfeldes was ich suchte. Moskitonetz an einen Baum knüpfen, Schlafmatte ausrollen, Schlafsack drauf und in weniger als 10 Minuten stand mein heutiges zu Hause. Mit dem Quaken der Frösche und dem Zirpen der Grillen fand ich ebenso schnell zum wohlverdienten Schlaf.
Auf nach Minantitlán
Sobald die Sonne hervor guckte, wurde es fast unausstehlich heiss. Es ging langsam voran, war körperlich und psychisch auftreibend. Aber ich drängte immer weiter voran, einen Höhenzug nach dem anderen meisternd. Anfangs über erodierte Hügel und durch dichtes Eichengestrüpp, dann flachte das Gebiet ab.
Gegen Mittag liess ich das Gebirge und das Naturschutzgebiet der Sierra de Manantlán hinter mir und passierte auch wieder die eint oder andere Hütte einer Bauernfamilie und schlussendlich die erste Siedlung. Mexikanische Musik dröhnte aus den offenen Haustüren, die Erwachsenen sassen scheinbar gelangweilt vor den Häusern oder auf der Plaza, Kinder plantschten im vorbeifliessenden Bach, Kühe weideten auf dem Fussballplatz, Hühner machten sich vor mir aus dem Staub. Manchmal liess ich mich auf einen Schwatz ein, manchmal konsumierte ich nur schnell etwas zu essen und zu trinken und zog dann weiter.
Im Etappenort Minantitlán wohnte ich in einer Posada, in diesem Fall in einer ganz einfachen Unterkunft. So einfach, dass nicht mal nach jedem Gast die Bettwäsche gewechselt wird, dafür wurde noch dessen Zahnbürste grosszügigerweise zur Verfügung gestellt. Immerhin tröpfelte etwas Wasser aus der Brause.
Frisch geduscht begab ich mich zur zentralen Plaza, dem rechteckigen Platz, wo die mexikanischen Gemeinden ihre gesellschaftlichen Aktivitäten abhalten. Schnauzbärtige Männer mit weissen Strohhüten sassen da, Norteño-Musik lärmte aus unbekannter Quelle, gelegentlich trappelte ein Pferd mit Reiter über das Kopfsteinpflaster, Teenager flanierten, alte Frauen beobachteten das Treiben von den Hauseingängen aus, Hunde streunten herum und es roch nach Grillfleisch von den Taco-Verkäufern unter den grossen Pappeln.
Vom Gebirge in den tropischen Regenwald
Die letzten hügligen Ausläufer der Sierra Madre zwangen der Route ein kurviges Dasein auf. Ich folgte dem Rand einer Schlucht mit einem reissenden Bach. Die Vegetation wurde immer dichter, ein tropischer Regenwald verdrängte die Weiden und landwirtschaftlichen Anbauflächen. Bunte, akrobatische Papageie begleiteten mich laut kreischend.
Mangels Alternativen musste ich von nun an mit Trampelpfaden unweit der Hauptverbindungsstrasse vorlieb nehmen oder sogar auf der asphaltierten Strasse gehen. Der Verkehr hielt sich zwar noch in Grenzen trotzdem musste ich mich das eint oder andere mal mit einem Satz in die Büsche vor den rücksichtslosen Lastfahrzeugen retten.
Dieser vorletzte Trekking-Tag geht bestimmt nicht als schönste Etappe in diesem Reisebericht ein. Doch so kurz vor dem Pazifischen Ozean konnte ich doch unmöglich in einen Bus steigen, oder?
Am Reiseziel, am Pazifischen Ozean
Ich mampfte noch immer in meinem Moskitonetz eingeschlossen die tägliche Ration an Bananen und Butterkeksen, als eine faustgrosse, haarige Tarantula vorbei spazierte. Instinktiv überprüfte ich mit einem Blick, ob die Maschen auch eng genug seien für die Spinne und kam mir nur Bruchteile später sehr lächerlich vor dafür.
Angesichts der Nähe zum Reiseziel Manzanillo, intensivierte sich der Verkehr nun mit jedem Kilometer. Die Küstenstadt ist ein speziell bei Mexikanern beliebter Urlaubsort und einer der wichtigsten Häfen des Landes. Eigentlich erwartete ich nach jedem Hügelzug nun das Pazifische Meer sehen zu können, doch die Etappe zog sich unendlich in die Länge. Immerhin galt es auch heute noch gegen 45 Kilometer zurückzulegen. Ich marschierte und marschierte, die sengende Sonne schien mich rösten zu wollen, der Schweiss kullerte unaufhörlich runter und die Füsse meckerten ob der harten Asphaltpiste. Nie hatte ich grössere Lust in Manzanillo anzukommen.
Umso freudiger war dann das effektive Erreichen der Pazifischen Küste. Nach elf Tagen zu Fuss unterwegs erreichte ich gegen Abend endlich den Strandort Manzanillo. Zur Feier des Tages gönnte ich mir das volle Strand-Pflichtprogramm, mit Baden, frischen Meeresfrüchten und die eint oder andere Cerveza Pacifico. Zudem hatte ich tatsächlich auch den Schatz der Sierra Madre gefunden – die wunderbaren Erinnerungen an ein abenteuerliches Unterfangen.